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10. November 2018
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Champignol wider Willen von Georges Fedeau an der Berliner Schaubühne
In dieser Kritik wird wenig von den Schauspielern und der Regie die Rede sein. Das liegt jedoch nicht an deren Leistung, sondern an den Theaterkritikern. Denn es ist leider üblich geworden, außer den Akteuren auf der Bühne und vor allem dem Regisseur, aber nicht dem Bühnenbild, den Kostümen, der Maske, dem Licht, dem Ton und der Bühnentechnik ausreichend Raum in einer Theaterkritik zu widmen.
Das ist bedauerlich und soll sich zumindest in der Bühnentechnischen Rundschau ändern.
Herbert Fritsch inszeniert an der Schaubühne Fedeaus Komödie Champignol wider Willen und sorgt selbst – wie so oft – für das Bühnenbild. Die Kostüme stammen von Victoria Behr.
Fedeaus Champignol ist eine Komödie aus dem ausgehenden 19. Jahrhunderts und sie karikiert die spießige Verstellung des Bürgertums, seine verlogene Misere der Selbstüberschätzung. Emmerich Kalman hätte aus dem Stoff eine rauschende Operette gemacht, Fedeau triumphiert als Meister der geistreichen Verstellungskomödie. Die Handlung nachzuerzählen ist Unsinn, denn sie ist banal, aber es ist die Art und Weise, wie sie erzählt wird, also auf dem Theater inszeniert wird, die dem Zuschauer gleichsam den Spiegel vorhält und ihn zum befreienden Lachen verführt. Nichts ist so lächerlich, dass es auch zumindest zum Teil wahr ist oder wie es der Dichter Peter Hacks einst formulierte: „Im Ernst, wir meinen es heiter!“
Herbert Fritsch beherrscht beides. Furios. Das erwartet man und man bekommt es. Der Gipfel der Verwechslungen, Verstellungen und Täuschungen ist erreicht, wenn im zweiten Akt im Feldlager der Reservisten sich Liebhaber und Ehemann gegenüberstehen und beide nicht sind, was sie scheinen, nicht wissen, was der Zuschauer weiß, sich täuschen oder die Wahrheit sagen, bis am Ende jeder sich selbst für den anderen hält.
Diese Tarnung inspiriert den Bühnenbildner Fritsch den Bühnenraum komplett mit militärischem Tarnstoff auszuhängen. Im ersten Akt, dem Salon einer bürgerlichen Scheinheiligkeit, leuchtet er geschickt diese Stoffe zu geschmacklosen Mustertapeten (Licht: Erich Schneider), im zweiten Akt stecken wir mitten in der Karrikatur eines Feldlagers.
Autokratien und das Militärische sind seit jeher gefundene Fressen für alle Komiker – aber hier passt das Motiv der Tarnung als Motto. Victoria Behrs Kostüme folgen diesem Sujet besonders im ersten Akt ganz wunderbar. Ahmt der Schnitt der Kostüme die historische Silhouette nach, so ist der Stoff jeweils die farbenprächtige Modeversion des soldatischen Tarnmaterials. In zweiten Akt verwendet sie das scheckige Militärkleid und ergänzt es durch aberwitzige, groteske Accessoires, wie rosa Schleifchen an den Stiefeln und natürlich bizarre Federbüsche auf Helmen oder karnevalistische Tressen. Die Kostüme sitzen prächtig und sie müssen etwas aushalten (Leitung des Kostümwesens: Dagmar Fabisch und Johanna Ballhausen; Damengewandmeisterin: Anne-Katrin Haubold; Herrengewandmeister: Günter Welz). Das artistische Spiel der Schauspieler verlangt Kostümen, Perücken und Maske allerhand ab.
Fritschs Bühnenraum überzeugt in den ersten beiden Akten. Im Salon des ersten Aktes benötigt er nur ein überdimensionales Plüschsofa und einen einzigen (sichtbaren) Auftritt aus der Unterbühne direkt in die Mitte der Szene blutrot glänzend. Damit entgeht er dem Zwang, das Tür-auf-Tür-zu mit Logik füllen zu müssen. Die Schauspieler schöpfen aus diesem schnellen Wechsel ihrer Auf- und Abtritte gleichsam das Feuer für die Komik der nächsten Szene.
Der offene Umbau vom Salon zum Militärlager demonstriert ganz wunderbar die phantasievolle Behauptung des Theaters, alles sein zu können, was es will. Die Öffnung der Bühne wird geschlossen, ein übergroßes Gemälde wird zur Projektionsfläche für ein Schattenspiel, welches das groteske Verhalten der Figuren nochmals überzeichnet (welch einfaches und uraltes Theatermittel, man ist erleichtert, eine Inszenierung mal ohne den Einsatz von Videotechnik zu sehen!), das Sofa wird mit Tarnstoff überzogen und ein Militärzelt wird durch seine bewegliche Verwendung ins artistische Spiel einbezogen.
Leider verliert sich diese Konsequenz im dritten Akt. Warum kehren wir nicht in den Salon des ersten Aktes zurück? Weil es das Haus einer anderen Figur ist? Welch naturalistische Logik. Die Veränderungen durch eine hinten in der Bühnenmitte eingefügte doppelflügige Tür, merkwürdigen Glitzerstoff in der Mitte bei nur halb zurückgezogenem Tarnstoff, das wirkt unbeholfen, inkonsequent. Auch die Kostüme verlieren das Tarnmuster und folgen einer anderen Ästhetik, die nicht verständlich ist. Plötzlich könnte es sich doch um eine Operette von Kalman handeln? Das am Anfang des dritten Aktes ein Kronenleuchter durch die Decke rauscht und sich ein Teppich entrollt ist witzig gemeint aber technisch nicht besonders überzeugend gelöst. Das ist bedauerlich, weil es überwiegend in den drei Stunden Aufführungsdauer nur so von witzigen, oftmals ganz einfachen wie genialen Einfällen wimmelt.
So ist der Abend nicht ganz rund, aber dennoch eine ganz wunderbare Komödie, die natürlich und soviel muss denn doch gesagt werden, ebenso wunderbar von grandiosen Schauspielern getragen wird.
HE