
tmt 23: Vorläufiges Programm veröffentlicht
21. August 2023
Besuch im Pan Acoustics Hauptquartier
29. August 2023
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Natur:
Ich kenne weder Gut noch Böse.
Eure Vernunft ist mir nicht Gesetz.
Und was ist Gerechtigkeit?
Ich gab Dir das Leben,
ich werde es Dir wieder nehmen und anderen geben,
Würmern oder Menschen, gleichviel wem.
und Du:
wehre Dich bis dahin und belästige mich nicht.
Iwan Turgenjew (“Die Natur”)
Meine Frau zeigt auf das Haus des Nachbarn, der von uns wegen seiner intensiv kreischenden Heimwerkerwerkzeuge (die er täglich und immer mit Gehörschutz- auch beim Holz hacken- anwendet) nur „der Holzmichel“ genannt wird, und sagt:
“Schau mal, da kommt was an!”
“Der Holzmichel?” entgegne ich mehr oder weniger erschrocken.
“Nein, so schlimm ist es doch nicht!” und zeigt auf die schwarze Wand, die im Hintergrund anrollt.
Ein fettes Sommergewitter – aktuell in der Wahrnehmung ein kaum zu beschreibendes, mit Starkregen und apokalyptischen Winden begleitetes, Horrorrszenario.
Das ist an dem Tag die dritte Unwetterwarnung und wahrscheinlich die einzige, die nicht im sanften norddeutschen Nieselregen aufgehen wird.
Fällt es Euch auch auf? Ich bekomme dauernd und so inflationär Horrormeldungen und Warnungen aufs Handy, dass ich im echten Ernstfall verloren sein werde, weil ich unsensibler nicht mehr sein kann. Die Verantwortlichen werden aber jegliche Haftung ausschließen können, sie haben ja gewarnt, wenn ich eines Tages wie der fliegende Robert durch die Luft davon getragen werde, weil ich die EINE Warnung nicht mehr ernst genommen habe. Der Schock sitzt wohl noch tief. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Aber eben nicht immer! Die Kaffeetasse schwappt beim Gehen immer bei mir über, weil ich nicht wegsehen kann, und dann habe ich den Salat oder eben den Fleck auf dem Hemd oder Teppich.
So ähnlich ist es mit Brandschutz im Theater. Immer muss der Ringtheaterbrand herhalten, auch wenn seither kaum was passiert ist und in den letzten hundert Jahren keine Leute mehr zu Schaden kamen. Ja, da ändern wir doch unser gegenwärtiges Verhalten und vor allem die Regeln? Nee, lieber nicht. Denk‘ an die Porzellankiste!
Als ich letzte Woche ein paar Tage in Dänemark im Urlaub war, marschierte Poli mit Windgeschwindigkeiten bis 120 Km/h durch die Lande und ich bekam Meldungen aus Deutschland auf mein Heimathandy im Viertelstundentakt. Dort sitzen alle in den Kellern und bereiten sich auf den geregelten Ausgang aus der Welt vor, dachte ich. Um mich herum waren- die Winde waren längst da- unglaublich entspannte Leute mit Frühstücksbier und Fischfrikadelle am Hafen von Bagenkop und ließen sich durchpusten.
Zeitgleich gab es einen Post der dänischen Surfgemeinde: “Kinder, holt die Bretter und Kites raus, so geil wird`s lange nicht!”
Es ist eben alles oft eine Frage der eigenen Position. Deutschland fühlt sich an wie ein Vergnügungspark, auf dem man mit schönem Schrecken die Achterbahnen des Haftungsausschlusses und der wohligen Panik runterwirbelt. German Angst, nennen das die anderen.
Ich war auf meiner Reise auch in Kopenhagen, wo ich die über die Stadt verteilten, internationalen und nachhaltigen Architekturprojekte ansehen konnte und echt sehr beeindruckt war. Allgemein hatte ich den Eindruck, dass die von Panik befreite Art der Dänen den Entwicklungen maßgeblich geholfen hat, auch weil man einfach mal loslegt, ohne an alle möglichen Stürme (auch die im Wasserglas) zu denken.
Jede Sache immer vom Anfang bis zum Ende komplett durchzudenken, führt unweigerlich in ein langweiliges Mittelmaß.
Die Ferien gehen zu Ende. Es verbreitet sich Optimismus, insbesondere mit der Nachricht, dass Kay Voges nach Köln geht. Die Stadt, das Theater und die Köllschen dürfen sich so richtig freuen.
Wesko Rohde.
Reisen mit und ohne…
Als am 7. November 1918 in München die Novemberrevolution ihren Höhepunkt mit der Ernennung Kurt Eisners zum Ministerpräsidenten erreichte, vergaß man nicht dem bayerischen König Ludwig III. unverzüglich die Flucht zu empfehlen. Dieser zog daraufhin seinen gefütterten Jagdmantel an, klemmte sich eine Kiste Zigarren unter den Arm und bestieg das bereitgestellte Auto. Hätte er damals bereits über eine Unwetter-App verfügt, so hätte er vor Starkregen gewarnt sein können. So aber rutschte das Auto alsbald von der Straße in den Graben.
Einer der erfolgreichsten aber weithin unbekannten Dirigenten des 20. Jahrhunderts, Leopold Stokowski, war bereits 1909 in die USA gereist. Über Unwetter auf der Überfahrt im Dampfer ist nichts überliefert. Bis zu seinem Tod 1977 dirigierte Stokowski mehr als 7.000 Konzerte und 700 Tonaufnahmen für Rundfunk und Schallplatte. Für seine ungezählten Reisen benötigte er kein Smartphone und keine App, aber seinen eigenen Schreibtisch. Dieser kann heute noch als Nachbau bei Louis Vuitton für 97.000 $ erworben werden.
Reisen – ob mit oder ohne – ist nichts für Feiglinge.
Einer der geistreichsten aber auch ärmsten Journalisten und Essayisten Englands, Thomas de Quincey (1785-1859), war mehr oder weniger seit seinem 18. Lebensjahr unterwegs, vorzugsweise auf den Straßen Londons. Zu seiner Reiseapotheke zählte Opium. Seine Erfahrungen damit finden sich in dem Buch: Bekenntnisse eines englischen Opiumessers, welches später Baudelaire ins Französische übersetzte. De Qunicey war oft Bankrott, saß auch mal im Schuldgefängnis. Dennoch schrieb er sehr bemerkenswerte Bücher, wie “Der Mord, als schöne Kunstform betrachtet”. Houston Stewart Chamberlain nannte ihn „eine der reichsten Begabungen an Geistesschärfe, Wissen, Gedächtnis, Federkraft, die England je hervorgebracht hat“.
Auf die Frage, was Ludwig III. , Leopold Stokowski und Thomas de Quincey gemeinsam haben, antwortet ChatGPT:
„Alle drei Personen haben durch ihre individuellen Leistungen und ihr kulturelles Erbe einen bleibenden Eindruck hinterlassen.“
Ich würde sagen: sie waren unerschrockene Reisende – auch ohne Unwetter-App.
Hubert Eckart
Ps. …nun müssen wir gar nicht erwähnen, dass Kolumbus nach der einfachen Gefährdungsbeurteilung zu dem Schluss gekommen wäre, dass das Lossegeln ein viel zu hohes Risiko mit sich bringt und man daher besser daheim bleibt. Amerika würde (noch mehr) vor sich hin dümpeln und bestenfalls Robinson Crusoe würde als schlechtes, aber unabwendbares Beispiel eines vermeidbaren Reiseunfalls herhalten müssen. Die Reihe ließ sich vom Faustkeil an (ohne Schutzbrille) unfassbar verlängern. Hätte es Sicherheitsfachleute nur früher gegeben..?!
WR
Bild: Christof Heinz