Im Gespräch: Marco Deinl (TWAUDiO)
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6. Mai 2024
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„Draußen nur Kännchen!“, „Kollege kommt gleich..!“ und „Ist nicht da, bekommen wir auch nicht wieder rein!“…
Jede Zeit hat so ihre Floskeln.
„Genau!?“ – „Ähhm.“ Wenn es mal nicht sofort weitergeht.
…Auch eine perfekte Floskel, sich selbst zu bestätigen und eine Pause einzulegen. „Genau?!“ Vermittelt auch das Gefühl, richtig zu liegen, ohne richtig sein zu müssen. Das steckt noch etwas Rückzugsfähigkeit mit drin. Grundsätzlich ist ja „genau“ auch ein Zeichen dafür, dass man auf richtigen Pfaden unterwegs ist.
Genau, wo war ich?
Ja.
Die Floskel unserer Zeit ist: Tut mir leid. Mit Punkt ohne Ausrufezeichen. (Man beachte „?!“ bei „Genau“)
Ich habe so den Eindruck, dass man sich allerorts daran gewöhnt hat, sich viel zu entschuldigen und das grundsätzlich Teil der Tagesordnung geworden ist. Man bekommt nix auf die Kette, aus welchen Gründen auch immer, aber vorsichtshalber schon mal der verzeihende Haftungsauschluss.
„Aufgrund von Störungen im Betriebsablauf, kann es zu Verzögerungen kommen?“ Die Bahn ist da klar der Vorreiter gewesen. Die sind nicht mehr zu toppen!
Sank ju for this!
Leider hat man allerdings überhaupt nicht mehr das Gefühl, dass die Menschen den Ehrgeiz entwickeln, wirklich Dinge noch verbessern zu wollen oder daran zu arbeiten, eine Zufriedenheit von anderen Menschen zu erreichen oder – was auch immer – bis hin zu Glück – zu erzeugen. Vor allen im Service ist das so, und das ist mindestens merkwürdig. Die Entschuldigung ist der Normalzustand und kommt so lapidar daher, dass jeder auch weiß, es ist nur so dahergeplaudert wie „Schöne Grüße“ an…
So auch letzte Woche, als ich die Winterreifen in meiner Autowerkstatt habe wechseln lassen wollen. „Oh, tut uns leid, ein Kollege ist krank geworden, es wird etwas länger dauern. Wir bitten um Entschuldigung. Dort hinten können Sie sich gern einen Kaffee nehmen.“ Eigentlich, denk ich: Nee, will nur die Reifen, Kaffee hatte ich schon, sage aber: …“Klar, kann man nichts machen.“
Draußen vor der Tür arbeiten Jercy (ich kenne ihn) und sein Kollege die kleine Schlange aus Autos schnellstmöglich ab, während sich im Büro Angestellte zur eigens einbestellten Arbeitsschutzunterweisung „Büro“ zusammenfinden, die ein offensichtlich von außen kommender Beauftragter hier fachgerecht durchführt, um auf die Gefahren beim Kopieren oder dem Umgang mit Papier und Kartonagen zu verweisen. Es lauern überall Gefahren – wir wissen das! Entschuldigung.
Ein großer Teil der etwa 25 Leute hält größere Kaffeebecher oder noch deutlich größere Wasserflaschen aus nachhaltiger Plastikproduktion in Händen, um regelmäßig im Minutentakt den von der Hochhofenarbeit an der Siemens-Martin Stahlschmelze stark dehydrierten Körper mit lebensspendenem Nass zu versorgen und die teilweise trübe Flüssigkeit über einen für auch für Babynahrung geeigneten Stutzen mit dem eigenen Mund anzusaugen.
Ich entschuldige mich schon einmal für meine unseriöse Frage: „Wenn nur zwei der trinkenden und zuhörenden Schwerstarbeiter sich die Unterweisung von ihren Kollegen erklären ließen und draußen mal helfen würden (Achtung – Unterweisung fehlt!), wären Jercy und seine dann drei Kollegen so schnell, dass ihr das Kaffee-Buffet für mich abbauen könntet? Entschuldigung, kann das sein?“
„Entschuldigung? Wo kämen wir denn da hin?“ So würde es mir den fachgerechten und haltbaren Ausruf der Beauftragungsökonomiebürokratie entgegenwettern und ich nur kleinlaut zu einem hingehauchten: „Ich dachte ja nur…“ ausholen, bevor auch ich mich ohne Herz entschuldigen würde.
(Das geht übrigens gar nicht. Man kann sich nicht selbst entschuldigen, das kann nur der Verletzte. Man kann nur darum bitten.)
Aber zurück zur Floskel und der richtigen Anwendung der modernen und zeitgemäßen Bitte um Entschuldigung: Um Verzeihung zu bitten, ist eine Geste der Zuwendung zu anderen, die erklärt, dass man sich für erfahrene Unbill verantwortlich fühlt und sein Gegenüber respektvoll um Nachsicht fürs eigene Verhalten bittet. Man erlangt Entschuldigung in gegenseitigem Einvernehmen, was beide Überwindung kostet und somit ehrenvoll und von Respekt gezeichnet ist.
Oder: Man verzichtet auf die Entschuldigung und packt stattdessen mal wieder an, vom Liegestuhl aus werden nämlich Probleme nur selten gelöst.
Das alles ist aber kompletter Käse, wenn’s „draußen nur Kännchen“ gibt und keiner weiß warum?
Oder wie es der Meister sagte:
Wer keine Neigung fühlt, dem mangelt es
An einem Wort der Entschuld’gung nie.
(Goethe)
Wesko Rohde