
Flackerlicht – Die Kolumne: Sommerpause
17. Juli 2023
Spielzeitpause in den Theatern = Festivalzeit im Lande
1. August 2023Vincent Kaufmann, Digitalexperte der DTHG, im Interview mit DTHG-Pressesprecherin Elisa Cominato über das Projekt „AR-Parsifal“ der Bayreuther Richard Wagner Festspiele 2023.
Lieber Vincent, zunächst herzlichen Glückwunsch zur grandiosen Premiere! Wie geht es dir zwei Tage danach?
Vielen Dank! Ja, die Premiere war wirklich toll. Erleichterung ist vielleicht übertrieben, aber der enorme Stress fällt schon ab. Es war natürlich sehr viel zu tun und auch ein Wagnis mit den 330 AR-Brillen. Bis zur letzen Sekunde wussten wir nicht, wie sich die Brillen im Live-Einsatz verhalten, da wir nie einen vollen Testtag mit 330 Personen gleichzeitig hatten. Und das reale Publikum kommt ja mitunter auch mit ganz anderen Erwartungen, deswegen war es bis zur Premiere sehr aufregend. Auch der Druck von außen war sehr hoch, vor allem, als die Orchesterproben und auch die Vorberichterstattung in den Medien begannen. Jetzt sind wir entsprechend sehr froh, dass alle Konzepte und unsere Ideen so gut funktionieren.
Das Projekt war also auch ein Experiment?
Absolut, und auch Forschung. Unser AR-Brillen-Modell wurde eigentlich für den Privatgebrauch zuhause entwickelt. Der Einsatz im Theater erfordert ja ganz andere Ansprüche. Lichttechnik, Tontechnik, etc. müssen im Theater sehr zuverlässig und präzise laufen. Und in unserem Fall eben auch die AR-Brille. Wenn die zuhause mal abstürzt oder nicht ganz synchron läuft, ist das nicht so schlimm. Aber im Theater brauchen wir ein Produkt, das einwandfrei funktioniert. Da wir selbst daran nicht viel weiterentwickeln konnten, waren wir auf sehr gute Hardware angewiesen. So haben wir die Brillen hier vier Monate lang auf Herz und Nieren geprüft. Wir mussten herausfinden, welche Fehler bei den Geräten in unserem Nutzungsumfang auftreten könnten und mussten dafür entsprechend Lösungen entwickeln, damit 330 Brillen so funktionieren, wie wir es wollen, beispielsweise bezüglich der Laufzeit. Wir haben die Brillen mehrere Tage am Stück jeweils zwölf Stunden lang laufen lassen, um die Stabilität zu prüfen, auch jeweils beim Ein- und Ausschalten, wo es häufig zu Abstürzen oder anderen Komplikationen kommt.
Was genau bietet die AR-Ansicht für das Publikum?
Mit der AR-Brille ist durchgängig eine virtuelle Erweiterung des Bühnenbildes, der Landschaft oder des inhaltlichen Geschehens sichtbar. Oft sind es zusätzliche Requisiten oder Symbole passend zur Handlung, teilweise auch spezielle Effekte wie der Flug eines Pfeils auf den Zuschauer zu oder dass plötzlich ein Blumenmädchen auf dem eigenen Schoß sitzt. An einigen Stellen gibt es interaktive Elemente, wo der Zuschauer selbst steuern kann. So wird eine noch speziellere Atmosphäre erzeugt.
Hast du ein persönliches Highlight?
Besonders der dritte Akt gefällt mir inhaltlich sehr gut. Dort gibt es beispielsweise eine Mülltüte, die durch den Raum fliegt. Das ist sehr reduziert und sehr schick. Der Wechsel zwischen prägnanten und nur marginalen Inhalten ist das, was für mich den Reiz von AR ausmacht.
Könntest du etwas zu den technischen Details erzählen?
Ja klar! Also unsere AR-Brille ist die Nreal Light von Xreal (früher Nreal). Das Team hatte sich für dieses Modell entschieden, da es sehr schlicht ist und quasi wie eine Sonnenbrille aussieht. Die Bildschirmgröße, der Tragekomfort und das Handling sind einfach klasse und sie bietet eben auch die Tracking-Funktion, die wir zwingend brauchen für die Orientierung im Raum bzw. für die Ausrichtung der Inhalte an jeder gewünschten Position. Wir haben ja insgesamt 330 Brillen, auf denen ein individueller Content läuft, je nach dem, auf welchem Platz ich mich befinde.
Sie funktionieren wie ein externer Monitor, den man an einen kleinen Computer ansteckt, welcher im Zuschauerraum fest verbaut ist und der entsprechend geladen sein muss. Auf den Brillen läuft im Prinzip eine App, die vom künstlerischen Team programmiert und mit dem gewünschten Content gefüllt wurde.
Jede Brille hat eine eigene Ansicht eingespielt bekommen und bietet somit ein anderes Erlebnis. Es wäre auch möglich, die Inhalte so zu programmieren, dass sich die Perspektive ändert, wenn man sich durch den Raum bewegt, denn die AR-Brille kann die aktuelle Position im Raum berechnen. Aber das ist hier in Bayreuth nicht nötig, da die Zuschauenden nicht aufstehen. Dieses Standort-Tracking kostet viele Ressourcen wie Akku und Rechnerleistung, daher haben wir jeder Brille einen fixen Standort zugewiesen, der zu Beginn jedes Aufzugs einmal kalibriert wird und nach Fixierung der Position wird das Live-Tracking ausgestellt. Uns ging es ja auch nicht darum, eine Performance zu erschaffen, sondern um eine Erweiterung des Stücks, während das reguläre Stück unberührt bleibt. Wenn der Zuschauer die Brille absetzen möchte, hat er immer noch das normale Bühnenerlebnis und kann beliebig und flexibel zwischen den beiden Formen wechseln.
Wie wird das Publikum den AR-Brillen vertraut gemacht?
Die Zuschauer haben am jeweiligen Vorstellungstag bis zwei Stunden vor Vorstellungsbeginn Zeit, die Brille im Foyer am Servicecounter individuell einstellen zu lassen. Das dauert nur 10 bis 15 Minuten. Mit dem Scan des Tickets werden die bei der Buchung erfassten Dioptrienwerte angezeigt, sodass das Servicepersonal die Brille mit entsprechenden Korrekturlinsen versehen und an die Gesichtsform anpassen kann. Alle Fragen zum Handling werden hier beantwortet. Wir haben dann im Hintergrund eine Stunde lang Zeit, die Brillen vorzubereiten. Die Brillen sind aufgrund ihrer Empfindlichkeit fest an den Sitzplätzen montiert und werden nicht frei an das Publikum herausgegeben. So minimieren wir Fehler im Handling und vermeiden, dass die Brille herunterfallen kann. Wir stellen also bis zum Vorstellungsbeginn jede Brille im Saal einzeln ein. 30 Minuten vor Beginn gibt es dann für die Zuschauer mit Brillen-Platz im Saal nochmals eine kurze Einführung.
Wow, das ist ja ein enges Zeitfenster!
Absolut! Das ist auch der Grund dafür, dass wir auf diese 330 Brillen limitiert sind. Neben den Kosten für die Hardware und das Personal ist es auch einfach logistisch nicht möglich, beispielsweise alle 2.000 Plätze im Saal mit VR-Brillen auszustatten. Rein technisch ginge das, aber abgesehen davon, dass unser Brillen-Modell in der Menge gar nicht lieferbar ist, müssten wir unser gesamtes Team natürlich entsprechend personell aufstocken. Dadurch, dass die Zuschauer kaum mit der Brille hantieren müssen und alles an ihren Plätzen individuell vorbereitet ist, haben wir vor und nach jeder Vorstellung im Hintergrund natürlich mehr Arbeit. Dann müssten die Anpassungen schon am Vortag passieren, was wiederum einen Eingriff in die Programmplanung der Festspiele bedeuten würde, da dann am Vortrag keine andere Veranstaltung im Haus stattfinden könnte. Einerseits würde das die Einnahmen des Festivals insgesamt verringern und gleichzeitig die Kosten für Personal sprengen, wobei sich die Frage anschließt, wo man in der heutigen Zeit überhaupt das Personal hernehmen sollte. Nicht nur die AR-Fachleute, auch das gesamte, extra geschulte Service-Personal.
Das sind sicherlich wichtige Informationen auch für zukünftige Projekte.
Genau, auch darum ging es in dem Forschungsprojekt, diese Details zu dokumentieren. Aus allen Überlegungen und Problemstellungen habe ich am Ende ein Konzept geschrieben, wie der Ablauf bestmöglich von statten gehen kann.
Was waren denn eure größten Herausforderungen?
Herausforderungen gab es regelmäßig. Beispielsweise mussten wir die Software-Updates auf allen 330 Geräten parallel installieren. Ursprünglich sollte eine Person jede Brille einzeln updaten, aber allein das hätte ein bis zwei Tage gedauert. Daher haben wir ein Managementsystem eingesetzt, um die Geräte gesammelt überwachen zu können. So können alle Geräte innerhalb von vier Stunden ihr Update bekommen. Über dieses System erhalten wir auch alle anderen relevanten Informationen wie Temperatur, Ladungszustand, W-Lan-Verbindung, Signalstärke. Diese Daten überwachen wir im Hintergrund und nehmen bei Notwendigkeit während der Pause am Gerät Einstellungen vor.
Auch wurde zuvor nie in dem Ausmaß getestet, wie sich die Geräte und Akkus in einem Zuschauerraum mit 2.000 Menschen und 330 AR-Brillen und entsprechender Wärmeentwicklung verhalten. Wir machten also auch klassische Gefährdungsbeurteilung am Theater und überlegten uns, wie wir die Akkus kühlen können. Hierbei hat mich auch Klaus Haarer, der Leiter der DTHG-Regionalgruppe Süd, wunderbar unterstützt und wir entwickelten auch zu diesen Themen eigene Konzepte.
Natürlich gab es auch vermeidbare Fauxpas. An einem Tag, an dem auch Publikum zum Testen eingeladen war, hatten wir vergessen, die Brillen aufzuladen. Das war eine knappe Nummer, bis zu Beginn der Vorstellung noch alle Brillen voll zu laden. Da hatten wir richtig Stress und es gab bei der Probe auch einige technische Ausfälle.
Ein anderes Problem offenbarte sich am Tag der Generalprobe. Da waren die Akkus der Brillen zu schnell leer. Obwohl alle Geräte dauerhaft am Strom hingen und geladen wurden, fingen sie irgendwann an, sich zu entladen. Wir haben das Problem zum Glück schnell erkannt, es war zu viel Content und eine zu hohe thermische Belastung. Die Probe war wirklich eine Achterbahnfahrt für uns. Aber so soll es ja sein, damit die Premiere dann gut läuft. Nachdem wir die Einstellungen angepasst hatten, hat bei der Premiere zum Glück alles wunderbar geklappt.
Puh, das war sicher sehr aufregend für das ganze Team. Wie hast du die Premiere erlebt und wie schaust du auf die noch kommenden Vorstellungen?
Es war toll zu sehen, dass Hardware und Software einwandfrei funktionierten. Es zahlt sich wirklich enorm aus, dass wir so viel Zeit für die Entwicklung und Tests hatten. Wir konnten über einen langen Zeitraum alles technisch entwickeln, diverse Szenarien durchspielen, auftretende Fehler beheben und diese dokumentieren. Seit April haben wir eigentlich nur noch optimiert, damit alles zuverlässig läuft. So wussten wir schon vor der Premiere, was uns erwartet. Aber nun haben wir auch endlich das Feedback von den Zuschauern. Gerade in den Pausen tauschen sich die Leute ja direkt über diese Dinge aus. Wir konnten nun auch real sehen, wie sich das W-Lan bei 2.000 Besucher verhält, ob es Internetprobleme oder andere Defekte an den Brillen gibt. Aus technischer Sicht gab es keine Schwierigkeiten, bis auf ein paar Bedienungsfehler, wie zu schnelles Herausnehmen der Brille aus der Halterung, wodurch Verbindungen unterbrochen wurden. Dies haben wir in der Pause nach dem ersten Akt behoben.
Am Abend nach der Premiere haben wir alle Brillen kontrolliert und da waren wir teilweise schon schockiert, wie einige Leute mit der Technik und ja auch einfach fremdem Eigentum umgingen. Es gab Fälle, da wurden die Brillen nicht zurück in die Halterung gelegt, sondern origamimäßig zwischen die Sitze gefaltet. Da muss man sich nicht wundern, wenn die Technik versagt. Zum Glück darf ich selbst die Einweisung im Zuschauerraum kurz vor Beginn jeder Vorstellung vornehmen, da werde ich bei den nächsten Terminen nochmal konkret drauf eingehen. Insgesamt werden für mich die kommenden Wochen aber deutlich entspannter sein. So wie wir das System aufgestellt haben, funktioniert es.
Wie war das bisherige Feedback vom Publikum?
Bisher war das Feedback zur AR-Technik beim Parsifal durchweg positiv. Die meisten Personen waren vor allem davon begeistert, dass die Brille über sechs Stunden lang problemlos läuft. Auch die Informationen vorab, der Service zum Anpassen und der gesamte Ablauf wurden sehr gut bewertet. Der Wunsch mancher Zuschauer nach einer Brillen-Anpassung bis 30 Minuten vor Beginn ist aus logistischen und zeitlichen Gründen leider nicht umsetzbar. Auch inhaltlich war es natürlich ein Experiment: Was wirkt gut, was nicht so gut? Aufgrund der Länge der Oper gibt es inhaltlich mehrere Wiederholungen oder Bilder stehen länger als nötig, das kann fürs nächste Mal sicherlich noch verbessert werden.
Wie kam die Anfrage aus Bayreuth und die Zusammenarbeit mit dem Festspiel-Team überhaupt zustande?
Die Anfrage erhielten unsere beiden Beauftragten für Digitalität, Franziska Ritter und Pablo Dornhege. Die beiden haben das Bayreuther Team beraten und waren daher schon schon im Sommer 2022 an den ersten Vorbereitungen beteiligt, als z.B. das Modell der VR-Brille ausgesucht wurde. Ich erhielt dann im Herbst die Anfrage, ob ich bei der konkreten Umsetzung vor Ort helfen könnte, also die genauen Konzepte zu entwickeln, die Realisierung mit dem Publikum zu koordinieren, usw. Über die Anfrage habe ich mich sehr gefreut und das Projekt auch sehr gern übernommen.
Und wie ging es dann für dich weiter?
Im Oktober begannen die inhaltlichen Meetings und Testings. Dabei konnte ich mir einen Überblick über die Anforderungen verschaffen und auch ganz konkret das Haus kennenlernen, z.B. die Einlasssituation und sämtliche festen Abläufe in Bezug auf die Festspiele. Über den Winter haben wir unsere Konzepte entwickelt und im März kamen dann die AR-Brillen, die wir bis zum Sommer programmiert haben. Ende März hatten wir den ersten Testtag mit 100 Zuschauern.
Was waren deine Aufgaben in dem ganzen Prozess?
Meine Aufgabe war die technische Projektleitung des AR-Parts des Parsifals – Hardware, Konzepte, Ideen – und alles zu organisieren, was sich um die AR-Brille dreht.
Zunächst haben wir uns viel mit der Hardware befasst, dabei gibt es viel um die Themen Physik und Optik: Wie reagieren die Geräte und vor allem die Akkus auf Temperaturschwankungen? Was sind Korrekturlinsen, Sphärenwerte, Zylinderwerte, Achswerte – und wie hängt alles zusammen? Dazu haben wir Tests gemacht, wie sich die Aspekte gegenseitig beeinflussen, z.B. bei Weitsichtigkeit. Natürlich ging es auch um Software: Welche Software wird benötigt? Wie können wir Updates überwachen? Inhaltlich mussten wir klären, ob die Brille durchgängig oder nur zeitweise getragen werden soll, ob in das Stück eingegriffen werden darf, indem z.B. Zusatz-Informationen eingeblendet werden und was die Künstler für ihre Arbeit benötigen. Die meisten Ideen sind bei den Proben selbst entstanden, da sich erst hier die Inszenierung real entfaltet und sich auch Probleme offenbaren. Insbesondere die Künster konnten alles testen, von jedem Sitzplatz aus, das war sehr wichtig.
Nicht zuletzt mussten wir natürlich auch viele organisatorische Fragen klären: Wo im Saal sollen die Personen mit Brille platziert werden? Wie läuft der Ein- und Ausbau vor und nach den Aufführungen logistisch ab? Wie läuft das Einstellen der Brillen mit den individuellen Angaben der Besucher innerhalb der vorgegebenen Zeit? Welche typischen Arbeiten fallen im Vorfeld an? Wie müssen die Brillen gepflegt werden?
Wir haben insgesamt sehr viel recherchiert, geforscht und wissenschaftlich Lösungen erarbeitet. Rückblickend betrachtet ging es auch darum, am Bayreuther Festspielhaus eine neue AR-Abteilung aufzubauen und zu leiten. Für mich persönlich war es auch viel mehr als ein klassischer Projektleitungsjob, wo ich ein Konzept erarbeite und festlege, wer was wann macht. Mein Anspruch war es, dass alle Brillen funktionieren und es nur marginale Ausfälle gibt. Die Zeit war nie langweilig und hat mir riesigen Spaß gemacht.
Das klingt toll, aber auch nach einer Menge Arbeit. Wie groß ist die AR-Abteilung in Bayreuth?
Mittlerweile sind wir 24 Personen, die zum Thema AR-Brillen arbeiten. Neben mir als technischer Projektleitung haben wir einen Ausstattungsleiter, acht AR-Techniker für Einbau, Ausbau, Technik und Wartung der Brillen sowie 14 Service-Personen, die speziell geschult wurden und die individuellen Einstellungen mit den Besuchenden vornehmen. Und das ist schon die Untergrenze, mit weniger Personal hätten wir das Projekt nicht stemmen können. Hinzu kamen aber noch externe Dienstleister, wie T.C.M. Light-Solutions für den Einbau mit Schutzgehäuse, die Lade-Infrastruktur und die Verkabelung der Brillen und RealTime für das Ticketing der AR-Plätze. Die Programmierung der AR-Inhalte haben wir gemeinsam mit Entwicklern vom amerikanischen Massachusetts Institute of Technology (MIT) gemacht. Dies umfasste die Contenterstellung mit 3D-Modellierung, Animationen, das Setzen von Cues und die Cue-Steuerung. Sonst haben wir aber alles in Zusammenarbeit mit den Abteilungen vor Ort gestemmt.
So eine internationale Zusammenarbeit erfordert eine gute Planung. Wie sah die Zusammenarbeit mit allen Beteiligten konkret aus?
Unser Technikteam hatte wöchentliche Jour fixe-Termine zur Abstimmung mit dem Regie- und dem Dramaturgie-Team. Aber das ganze Projekt war ein bisschen Try & Error. Wir konnten ja weltweit niemanden nach Erfahrungen und Tipps fragen. Auch das Brillenmodell war zum Zeitpunkt der Auswahl noch ganz neu, sodass wir uns die ToDos und den Zeitplan Stück für Stück selbst erarbeitet und natürlich auch immer wieder angepasst haben. Wenn man so möchte, war der Prozess der Prototyp für agiles Projektmanagement. Es ergaben sich immer wieder Schwierigkeiten, die wir effizient lösen mussten. Das ist uns in der Rückschau betrachtet richtig gut gelungen, da alle im Team sehr flexibel waren und uns von Anfang an bewusst war, dass wir hier ein Experiment machen, forschen und wir mit Situationen rechnen müssen, in denen wir nochmal von vorne anfangen müssen. Aus diesem Grund gab es auch nie Enttäuschungen im Team, wenn mal etwas nicht geklappt hat. Im Gegenteil. Alle waren hoch motiviert und wir sagten uns dann: Okay, das war nichts, wir probieren etwas anderes. Wir haben im Team alle Probleme gemeinsam besprochen und gemeinsam gelöst. Das war eine tolle Zusammenarbeit auf Augenhöhe.
Welche Strahlkraft hat das Projekt aus deiner Sicht?
Technisch haben wir bewiesen, dass Oper mit AR funktioniert und dass die Zuschauer sich auch auf den gesamten Prozess einlassen. Wir haben gezeigt, dass wir 330 AR-Brillen parallel für eine Vorstellung handeln können. Dazu muss man sagen, dass der Umgang mit AR-Brillen nochmal deutlich schwieriger ist als der mit VR-Brillen, die eine komplett virtuelle Realität erzeugen und nicht eine Erweiterung parallel zum analogen Stück.
Jetzt, da die Technik steht, kann bei einer Inszenierung jeder Content eingespielt und inhaltlich von Grund auf neu gedacht werden. Die Bayreuther Festspiele haben jetzt eine feste AR-Abteilung, die sicherlich für die Zukunft bestehen bleibt. Wir werden in den nächsten Wochen eine Auswertung machen, insbesondere auch über die Kosten und schauen, ob sich der Aufwand lohnt und wie die Technik beim Publikum ankam, sprich, ob die Nachfrage für nächstes Jahr generiert werden kann.
Wir haben hier aber kein Baukastensystem entwickelt, das nun jede Institution nutzen kann, sondern wir haben eine ganz individuelle Lösung für das Bayreuther Festspielhaus geschaffen. Insofern wird es meines Erachtens nach noch etwas dauern, bis sich ähnliche Projekte in der Branche etabliert haben.
Natürlich hat das Projektteam auch eine Menge gelernt. Ein neues AR-Projekt würde ich mit dem jetzigen Wissen und unseren gemeinsamen Erfahrungen ganz anders angehen. Wenn andere Theater ein ähnliches Projekt umsetzen wollen, könnten wir da gute Hinweise zur Planung und Umsetzung geben. Ich denke, dieses Wissen ist sehr wertvoll und insofern ein Meilenstein der Theatertechnikgeschichte.
Auch wenn sich aufgrund der Dauer der Oper einige Segmente der VR-Erweiterung des Parsifal wiederholen, birgt das Projekt auch inhaltlich eine Strahlkraft, da das Theaterpublikum sehr interessiert ist an neuen Erfahrungen und Erlebnissen. Jetzt ist die Kunst gefragt, die Technik kreativ zu nutzen, mit neuen Ideen zu füllen und neue Erlebnisformen zu entwickeln. Man kann die VR- und AR-Technik ja auch für ganz andere Bereiche nutzen, wie z.B. Barrierefreiheit mittels Übertitelungen schaffen oder Zusatz-Informationen zu den Darstellern einblenden oder Kontext zur Geschichte geben.
Herzlichen Dank für das Gespräch Vincent und weiterhin toi toi toi für die kommenden Aufführungen!
Sehr gern, vielen Dank!