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„Mehr als ein Titel – eine Haltung“ Wie der Berufsspezialist für Theatertechnik Verantwortung möglich macht
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„Die wahren Helden der Wirtschaft sind dann nicht die, die in vier Stunden effizient ihr Pensum erledigen, sondern jene, die jeden Tag 14 Stunden lang erreichbar sind, und ihre Tage mit der Simulation von Arbeit verbringen. Meetings sind die perfekte Illusion von Aktivität, je länger sie dauern, desto wichtiger, je mehr Menschen involviert sind, desto beeindruckender wirken sie. Das eigentliche Ziel ist der Eindruck, dass wahnsinnig viel passiert.“
Peter Praschl
Bewerbungsgespräche in Zeiten der Fachkräftevermeidung
Lange war es ruhig in der Technikabteilung. Zu ruhig. Das Haus hatte – wie so viele andere Theater auch – monatelang eine Stelle für Bühnenmeister ausgeschrieben. Es kamen viele Reaktionen: Absagen, Rückfragen, Überforderung, Schweigen. Aber keine Bewerbung. Dann – endlich! – meldet sich Jan.
Frisch aus der Ausbildung, motiviert, klug, teamfähig. Jan will ans Theater. Ein seltenes Phänomen. Ein systemischer Störfall.
Und nun steht er an der Pforte. Wie geht man mit einem Bewerber um?
Man lässt ihn erst einmal 30 Minuten warten.
Die Empfangskraft, jahrelang erprobt in emotionaler Selbstverteidigung, reicht ihm wortlos einen Besucherausweis und sagt zur Begrüßung:
„Hier gibt’s öfter mal Ärger. Naja, wirste ja selbst sehen.“
Jan schaut ihn bedröppelt an. Wohlfühlen geht anders.
Kapitel I: Die Anklagebank
Jan wird nach oben begleitet. Der Raum ist groß, schmucklos, die Luft steht. Vor ihm: ein Gremium aus 20 theatererfahrenen Abschreckungsexperten. Einige wirken interessiert, die meisten wirken verstimmt. Freundlichkeit ist optional, Mimik sparsam. Die Gesprächsführung obliegt keiner Person – sie ergibt sich aus dem Gruppengefüge, einer Mischung aus passiver Skepsis, aktivem Desinteresse und organischer Überforderung.
„Wie kann man so verrückt sein, sich bei uns zu bewerben?“ – diese Frage liegt unausgesprochen im Raum.
Das Bewerbungsgespräch folgt dem bewährten Leitfaden des deutschen Theaterbetriebs im Zustand chronifizierter Personalkrise:
Regel 1: Präsenz ist Macht
Je mehr Menschen auf der Gegenseite sitzen, desto besser. Mindestens 15. Auch wenn nur ein Bewerber da ist – und dieser auch noch der einzige weit und breit –, muss klargestellt werden: Das ist kein Willkommen. Das ist ein Tribunal. Er soll sich fragen, warum er überhaupt existiert.
Regel 2: Niemand spricht – außer, um zu zweifeln
Das Gremium besteht vorzugsweise aus Personen mit mindestens 30 Jahren Betriebszugehörigkeit – oder entsprechender Restlebenszeit. Fragen werden keine gestellt. Dafür werden Zustände verkündet. Wichtig ist, dass Jan zu spüren bekommt: Seine Bewerbung ist ein Übergriff, ein Angriff auf eine fragile Struktur.
„Wir kennen uns aus – Du nicht. Wir brechen dich. Wenn du bleibst, dann nur auf unsere Art.“
Regel 3: Begeisterung ist verdächtig
Kommt Jan dennoch auf die absurde Idee, motiviert zu wirken, ist mit maximalem Misstrauen zu reagieren. Wer sich freiwillig am Theater bewirbt, hat entweder etwas nicht verstanden oder will etwas verbergen. Oder beides.
Er wird genommen. Jan sagt zu.
Er hat eine Freundin in der Stadt.
Kapitel II: Die Probezeit – Die zweite Chance zur Abschreckung
Wie konnte das passieren?
Jan hat – aus jugendlichem Optimismus, persönlichen Gründen und emotionaler Verwirrung – tatsächlich zugesagt. Nun beginnt Phase zwei: Die systematische Demotivation.
Wöchentlich finden Rückmeldungsgespräche statt: Thema „Verstöße gegen unausgesprochene Regeln“.
Jede Entscheidung wird protokolliert. Jede Eigeninitiative dokumentiert. Verantwortung wird definiert – vor allem als Haftungsfalle.
Sein Schreibtisch liegt nach zwei Tagen voll mit Formularen, Risikoanalysen und einer verpflichtenden „psychosozialen Gefährdungsbeurteilung“, die Jan selbst auszufüllen hat.
Die Verwaltung sorgt für Struktur: Arbeitszeiterfassung per digitalem System (Softwarestand: 2007), zusätzlich manuell auf Papier. Es geht schließlich um Redundanzsicherheit.
Sicherheitsunterweisungen finden jeden Mittwoch um 7:30 Uhr statt – nicht zur Sicherheit, sondern zur Erzeugung des Sicherheitsgefühls.
Jan wird eingeladen, an einem neuen Dokumentationsprozess mitzuwirken.
Arbeitstitel: „Warum der Hauptvorhang funktioniert, obwohl er es eigentlich nicht sollte.
Kapitel III: Das große Gleichgewicht
Im Idealfall erreicht das Haus bald das angestrebte Zielbild einer modernen Theaterverwaltung:
- 1 Meister
- 8 Techniker (davon 3 krank, 2 in Altersteilzeit, 1 in Therapie, 1 freigestellt)
- 26 Verwaltungskräfte, aufgeteilt in:
- 5 für Personal,
- 4 für Kontrolle,
- 3 für Nachhaltigkeit,
- 6 für Berichtswesen,
- 8 für Interne Kommunikation.
- 50 Premieren pro Saison. Steigende Tendenz. Mindestens 30 davon mit echtem Publikum.
Das Verhältnis stimmt: Wenige, die arbeiten. Viele, die verwalten, bewerten und beobachten.
Die kreative Energie wird effizient in Checklisten, Risikoindikatoren und hybriden Konferenzprotokollen gebündelt.
Die Fachkräftequote sinkt – aber das Audit wird glänzend bestanden.
Der Jahresbericht trägt den Titel: „Krisenbewältigung als Kompetenzentwicklung.“
Kapitel IV: Systemische Prävention von Lösungen
Gleichzeitig wird aktiv verhindert, dass praxisorientierte Weiterbildungsmaßnahmen Wirkung entfalten. Der „Berufsspezialist für Theatertechnik“ – ein vielversprechendes Modell – wird erst einmal in sechs Gremien gleichzeitig beraten, zurückgestellt, dann missverstanden, anschließend pilotiert und danach archiviert.
Eigenverantwortung wird durch Verantwortlichkeitszuweisung ersetzt.
Entscheidungen liegen im Backlog.
Haftung liegt im Zentrum.
Im NV-Bühne gibt’s eine Stunde weniger. Puuuuhhhhhhh. Das entspannt alles total.
Epilog: Haltung zeigen
Wer sich durch dieses System bewegt, braucht keine Motivation. Er braucht ein dickes Fell, ein gutes Ruhe-EKG und idealerweise keine Ambitionen. Das Theater funktioniert – nicht, weil die Bedingungen stimmen, sondern trotzdem. Weil einzelne Leute jeden Tag über sich hinausgehen – oft bis zum Umfallen.
Und das muss auch so bleiben.
Bloß keine Veränderung. Veränderung wäre… riskant.
Denn wie sagte Lenin:
„Vertrauen ist gut. Kontrolle ist besser.“
Und wer den Vorhang hebt, ohne vorher einen Freigabeprozess auf Stufe 3 zu absolvieren, gefährdet das Gleichgewicht aus geschäftigem Müßiggang und dokumentierter Inaktivität.
Der Erfolg gibt Lenin recht.
Ich auch.