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“Des Menschen größtes Verdienst bleibt wohl, wenn er die Umstände soviel als möglich bestimmt und sich so wenig als möglich von ihnen bestimmen läßt.“ Goethe/ Wilhelm Meisters Wanderjahre
Wir haben es geschafft: weniger Arbeit, mehr Pausen, Homeoffice, beinahe wöchentlich XXL-Wochenenden. Der moderne Mensch hat frei. Und was macht er mit dieser Freiheit in der Freizeit? Er sitzt da. Mit Handy, Proteinshake und leerem Blick. Früher stand man um fünf Uhr im Stall, hat gefüttert, gemolken, geschuftet. Heute sitzt man um zehn auf dem Sofa, streamt koreanische Serien und nennt das Achtsamkeit. Die gleichen Leute, die einst Schweine fütterten, füttern heute Algorithmen für die eigenen Begehrlichkeiten. Und wehe, der werbewirksame Code hat schlechte Laune – dann ist das Wochenende im Eimer.
Wir haben mehr Freizeit, aber wofür? Die gewonnene Zeit wird konsequent mit Käse gefüllt. Die Leitfrage unserer Tage lautet nicht mehr: Was kann ich tun? sondern: Was kommt als Nächstes?
Die 40-Stunden-Woche ist demnächst ein Museumsstück – eine Relikt-Zahl aus der Zeit, als Arbeit noch Struktur gab. Jetzt kämpfen wir nicht mehr um das nackte Überleben im Dschungel oder Dickicht der Wälder, sondern um die perfekte Balance aus Müßiggang und Selbstoptimierung. Die Idealform der Freiheit scheint zu sein: frei von allem. Natürlich auch vom Denken. Haśek hätte das vermutlich gemäßigten Fortschritt genannt. Beneidet hätte er uns nicht. Er war eher Seneca zugewandt, der die Zeit als einzigen Faktor erkannte, bei dem Geiz angebracht wäre.
Man könnte nun auf die Idee kommen, all diese gewonnene Zeit in Bildung zu investieren – in echtes Wissen: Denken, Urteilsfähigkeit. Aber Bildung verlangt Mühe. Bildung könnte schlau machen und Erkenntnisse bringen. Sehr unbequem. Also, Denken lieber sein lassen oder outsourcen: an KI oder an Influencer, besser an beide.. Wir lagern unsere Leben aus, auch unsere Haltung zur Welt um uns. So wird aus gewonnener Zeit keine Lebenskunst, sondern ein Kokon. Die Freiheit, sich zu bilden, nutzen wir, um informiert zu bleiben – über Taylor Swift z.B., die Kuckucksuhr der musikalischen Revolution. Oder BiG Brother: Da sitzen Menschen in kleinen Welten und machen genau das, was man dort machen kann. Ist also wie draußen, nur drinnen. Erinnert mich an die russischen Puppen, die immer kleiner werden. Matrjoschkas.
Weil „Langeweile“ so hässlich klingt, nennen wir sie heute „Quality Time“. In dieser verbringt man kostbare Stunden damit, in Coffeeshops neben anderen Langweilern auf Laptops zu starren und zu behaupten, man schreibe an einem Projekt. Tatsächlich schreibt man selten, meistens lädt man irgendwelchen Scheiß herunter oder lässt sich von künstlicher Intelligenz ein Gedicht über Hasenköddel aufsagen. Über Kopfhörer versteht sich.
Kleine Perlen, braun und rund,
rollen leis auf weichem Grund.
Der Hase schaut – ganz ohne Töddel –
auf seine Welt aus Hasenköddel.
(Töddel ist von mir)
Dabei könnte jeder Tag, den man nicht auf dem steinigen Acker verbringt, ein Tag sein, den man dem eigenen Verstand widmet.
Lesen, nachdenken, diskutieren.
Wir haben uns von der beschwerlichen Arbeit befreit – leider auch vom Sinn nützlicher Tätigkeiten. Die machen klüger. Und es macht glücklich, wenn man endlich- wie ich jetzt- seinen Garten vom Laub heruntergefallener Blätter befreit. Da kommt Freiheit her, auch in der Verzweigung der eigenen Krone.




